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Schadstoffe im Urin von Kindern: Wieso wurden die Weichmacher-Rückstände nicht früher gefunden? Wir wissen es!

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Letztes Update 12. Juni 2024

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weichmacher urin woher

Anfang Februar 2024 berichten diverse Medien darüber, dass bei zahlreichen Menschen in Deutschland Hinweise auf einen eigentlich verbotenen Weichmacher entdeckt wurden. Wie so etwas passieren kann und wieso es von den verantwortlichen Stellen nicht früher entdeckt wurde, wollten wir genauer wissen. Wir fragten beim Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) und Umweltbundesamt(UBA) nach. Es gibt etwas zu überdenken! Der Artikel beinhaltet unser mutuales Ergebnis vom 20.02.24.

  • Weichmacher entdeckt: In Deutschland wurden bei vielen Menschen Hinweise auf den eigentlich verbotenen Weichmacher DnHexP gefunden.
  • Entdeckung durch Recherche: Eine Journalistin entdeckte die Belastung in den Proben während einer Recherche, die Ergebnisse wurden in einer RTL-Reportage veröffentlicht.
  • Die Urinproben von Kindern im Alter von 2 bis 6 Jahren waren von 2017/18 und 2020/21 – damals wurde nicht auf den Stoff getestet.
  • Steigende Belastung: Zwischen 2017/18 und 2020/21 stieg die Belastung mit dem Abbaustoff  MnHexP  des Weichmachers DnHexP von 26 auf 61 Prozent.
  • Dieser Weichmacher kann Unfruchtbarkeit zur Folge haben. In Tierversuchen erwiesen sich Phthalate, vor allem DEHP als krebserregend, entwicklungstoxisch und reproduktionstoxisch.
  • Deutsche Umweltstudie: In 28 Prozent der deutschlandweit genommenen Proben wurde der Metabolit MnHexP gefunden.
  • Fehlende Prüfung: Ursprüngliche Untersuchungen fokussierten sich nicht auf DnHexP, da dieser seit 2013 in der EU stark reguliert und größtenteils verboten ist.
  • Nachweis des Abbaubproduktes MnHexP im Urin ist seit Jahren möglich.
  • Die Quelle der Belastungen ist bislang nicht entdeckt worden. Das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man bei Alibaba oder Temu ausländische Produkte kauft, die nie eine europäische Kontrolle gesehen haben.
Was sind Weichmacher? Um spröde Materialien weich und biegsam zu machen, werden sogenannte Weichmacher zugesetzt. Unter diese Bezeichnung fällt eine ganze Reihe von Stoffen. Darunter auch die sogenannten Phthalate, um die es hier geht. Die genaue Verbindung nennt sich Di-n-hexyl-Phthalats (Abgekürzt: DnHexP). Wird diese vom menschlichen Körper abgebaut, bleibt der Metabolit Mono-n-hexyl-Phthalat (Abgekürzt: MnHexP) zurück, der jetzt bei vielen Menschen in Deutschland entdeckt wurde.

7 Jahre alte Proben

Die Proben, in denen diese Hinweise auf den Weichmacher gefunden wurden, sind nicht neu. Es handelt sich um Urinproben des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW von 2017/2018 und 2020/21. Diese wurden im Rahmen einer Untersuchung von Kindern im Alter von 2 bis 6 Jahren gesammelt [1].

Bei all den Gesundheitsämtern und Prüfstellen die wir hierzulande haben, kann man sich natürlich fragen, wie so etwas passieren kann. Wie ist es möglich, dass hier nicht auf einen Stoff getestet wurde, der gesundheitsschädlich ist und – wie sich noch zeigen sollte – bei knapp 30 Prozent der Menschen in Deutschland im Körper herumschwirrt [2]?

Weil die Berichte der News Medien zu dem Thema in unseren Augen viele Fragen offengelassen haben, haben wir uns entschieden, das Thema noch einmal in seiner Gänze aufzuarbeiten.

Wie der Weichmacher entdeckt wurde

Besonders irritierend wirkte auf uns, dass die Zeit Ende 2022 noch darüber berichtet hat, dass die Belastung durch Weichmacher bei Kindern zurückgegangen sei [3] – und zwar in Bezug auf dieselben Proben, deren Untersuchung jetzt zur Entdeckung der Weichmacher-Belastung geführt haben.

In der Nachuntersuchung des LANUV findet sich die Antwort darauf, wie es zu dieser und damit zur Entdeckung des Stoffes kam [4]. Bei der Recherche einer Journalistin wurden einige der Proben untersucht, wobei auch auf den Weichmacher DnHexP getestet wurde. Die Ergebnisse wurden im Rahmen der RTL Reportage „Auf der Spur eines verbotenen Weichmachers“ am 07.02.2024 veröffentlicht [5].

Darauf hat das LANUV seine Nachuntersuchung angestellt und die besorgniserregenden Belastungen mit dem DnHexP-Abbaustoff MnHexP in den Proben von 2017/18 und in Proben von 2020/21 entdeckt. Festgestellt wurde zwischen diesen Jahren eine Steigerung von 26 auf 61 Prozent.

In der aktuell laufenden 6. Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit ist nun ebenfalls in bislang 28 Prozent der deutschlandweit genommenen Proben der Metabolit MnHexP entdeckt worden [6].

Auf der Seite des Umweltbundesamtes heißt es:

„Die Analyse von Proben im Rahmen der Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit sowie des Humanteils der Umweltprobenbank auf ihren Gehalt an MnHexP hin ist Teil des vom Umweltbundesamt konzipierten Untersuchungsprogramms.“

Interessanterweise findet man auf der Seite des Umweltbundesamtes auch Informationen zu einer Pilotstudie von 2018-2019 [7]. Vermutlich wurde auch hier noch nicht auf den besagten Abbau-Stoff geprüft, da die hohen Belastungen ansonsten schon zu diesem Zeitpunkt aufgefallen wären.

Tatsächlich ist das Nachweisen von MnHexP im Urin auch erst seit 2019 möglich, es kann also auch gut sein, dass die Methode in der Pilotstudie noch nicht zur Verfügung stand.

„Um die wesentlichen Elemente von GerES VI auf Machbarkeit zu prüfen, wurde vorab eine Pilotstudie (2018–2019) mit einer Bruttostichprobe von 121 Teilnehmenden durchgeführt.“

Nach unserer Einschätzung wurde die Untersuchung auf MnHexP aber auch bei der Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit in erster Linie aufgrund der bei der Recherche von RTL aufgefallenen Belastungen mit aufgenommen.

Update: Sonnencremes als mögliche Quelle identifiziert

Der Stoff, der das Hormonsystem beeinträchtigt und fortpflanzungsschädigend ist, könnte aus Sonnencremes stammen. In Proben von Sonnencremes wurden erhöhte Konzentrationen von DnHexP entdeckt, insbesondere in Produkten mit dem UV-Filter DHHB, der möglicherweise verunreinigt ist.

Wie RTL mitteilte, weist der Chemiekonzern BASF, der solche UV-Filter vertreibt, die Vorwürfe zurück. Untersuchungen zeigen, dass die Konzentration des Weichmachers im Winter abnimmt, was die Theorie stützt, dass Sonnencremes die Quelle sein könnten. Kunden sollten beim Kauf von Sonnencreme darauf achten, dass DHHB nicht enthalten ist.

Was ist schiefgelaufen?

Offen bleibt die Frage, wieso bei der besagten journalistischen Recherche überhaupt auf DnHexP getestet wurde und bei der Untersuchung durch das LANUV von 2020/21 nicht. In dem von RTL veröffentlichen Beitrag erfährt man, dass hier durch das IPA (Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung) getestet wurde.

Und ganz offensichtlich hat es dieses Institut für sinnvoll erachtet, auf DnHexP zu testen.

Zunächst wollten wir für unsere Recherchen mehr Informationen vom Umweltbundesamt bekommen, da hier durch die Arbeiten an unserer Website www.Entsorgungshinweise.de bereits Kontakt bestand. Wir wurden allerdings an das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) weiterverwiesen.

Also haben wir da nachgefragt, ob es ein Versäumnis gewesen sei, dass bei der ursprünglichen Untersuchung nicht auf DnHexP getestet wurde.

„Von einem Versäumnis kann keine Rede sein, da unsere Studie das Ziel hat, die Entwicklung der Belastung von Kindern mit häufig verwendeten Substanzen über einen langen Zeitraum zu beobachten.“

Als Erklärung dafür, dass nicht auf DnHexP getestet wurde, wird vor allem angegeben, dass der Weichmacher seit 2013 in der europäischen Union stark reguliert und größtenteils verboten ist. Eigentlich sollte es also nicht möglich sein, dass der Stoff im Körper so vieler Menschen in Deutschland landet. Man denke aber nur an Shops wie Temu, über die unkontrolliert Produkte wie Kinderspielzeug, Küchengeschirr und vieles anderes den Weg nach Europa findet.

Laut Pressesprecherin des LANUV ist es wichtig zu wissen, dass die Auswahl der Substanzen, auf die getestet wird, auf Häufigkeit beruht. Es geht also bei den Proben in erster Linie um Stoffe, die oft in der Herstellung von Alltagsgegenständen verwendet werden. So ist es vom Umweltministerium vorgegeben.

Die Erklärung ist durchaus nachvollziehbar und es ist sicherlich sinnvoll, das Hauptaugenmerk auf schädliche Stoffe zu legen, die häufig vorkommen.

Unsere Meinung:

Trotzdem bleibt auch klar, dass es besser wäre, wenn die Rückstände des Weichmachers früher entdeckt worden wären, in den Urinproben von 2020/21 zum Beispiel. Und wären Verbote und Seltenheit von Substanzen eine Garantie, dass diese auch nicht vorhanden sind, bräuchten wir keine Drogenspürhunde an Flughäfen.

Das führt uns zu der Frage, ob es nicht Verbesserungsmöglichkeiten im Vorgehen der ausführenden Einrichtungen gibt, die die Stoffe jetzt entdeckt haben.

Nach aktuellem Stand (Februar 2024) weiß übrigens noch niemand, wie die Phthalat Rückstände in den menschlichen Körper gelangt sind. Aktuell werden verschiedene Produkte auf den Weichmacher Di-n-hexyl-Phthalat getestet.

Wie reagiert die Politik?

Nach den Befunden hatte die SPD-Fraktion einen Bericht der Landesregierung für den kommenden Gesundheitsausschuss angefordert [8].

Dieser findet planmäßig am 21. Februar 2024 statt. Über die Ergebnisse werden wir hier berichten.

Unter anderem soll auch geklärt werden, welche Maßnahmen die Landesregierung von NRW treffe, um die weitere Verbreitung zu verhindern und welche Experten und Expertinnen hier zurate gezogen würden.

Fazit: Wie kann Ähnliches in Zukunft verhindert werden?

Zunächst wollen wir festhalten, dass wir mit dem Artikel nicht andeuten wollen, dass die angesprochenen Institute und Ämter keine gute Arbeit machen. Alleine die langen Listen verbotener und gefährlicher Stoffe sind ein Zeichen dafür, wie ernst man in Deutschland die Gesundheit der Bevölkerung nimmt.

Laut Pressesprecherin des LANUV prüfen zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen die Lebensmittelüberwachungsämter pro Jahr rund 4700 Proben von Bedarfsgegenständen und ca. 3300 Proben von kosmetischen Mitteln – Auch auf DnHexP. Die Problemquelle wurde bei diesen Verfahren nicht entdeckt. Und dieses Bundesland übernimmt schon sehr viele Tests!

Man steht jetzt trotzdem vor der Frage, ob und wie sich so etwas in Zukunft verhindern lässt.

Könnte es zum Beispiel regelmäßig eine Prüfung von besonders gefährlichen Stoffen geben, unabhängig davon, ob diese häufig vorkommen oder nicht? Zumindest von denen, die zum Beispiel in Ländern mit weniger strengen Regelungen in Kosmetik, Spielwaren etc. eingesetzt werden? In einer globalisierten Welt mit kaum noch nachvollziehbaren Warenketten ist es ja nie ganz auszuschließen, dass Produkte mit problematischen Inhaltsstoffen auch auf dem deutschen Markt landen.

Müsste allgemein die Finanzierung für Labore und Institute erhöht werden, die sich mit der Prüfung von Lebensmitteln, Kunststoffen, Wasserqualität etc. auseinandersetzen? Mit anderen Worten: War die fehlende Prüfung auf Stoffe, die vermutlich nicht vorhanden sein werden, eine Frage fehlender Kapazitäten?

Völlig klar ist in unseren Augen, dass neu evaluiert werden muss, auf welche Stoffe bei gesundheitlichen Untersuchungen der Bevölkerung geprüft wird. Denn wenn ein Stoff bei 30 Prozent der deutschen Bevölkerung auftaucht, der in der EU praktisch nicht existieren sollte, steht zu befürchten, dass das auch für weitere Stoffe gelten könnte.

Es bleibt zu hoffen, dass das Umweltbundesamt in Zusammenarbeit mit den EU-Behörden die Quelle der Belastungen so schnell wie möglich ausmacht. Unter Umständen lassen sich aus den Ergebnissen dann auch Rückschlüsse darauf ziehen, welche anderen Produkte in den Fokus genommen werden und auf welche Stoffe sie untersucht werden sollten.

 

Unser Ergebnis:

Es sollten mindestens Urinproben in regelmäßigen Abständen auf viel mehr Schadstoffe hin untersucht werden. Jede neue Nachweistechnik sollte da umgehend Einzug finden! Ist man da fündig geworden, sollte man umgehend die Quelle des Schadstoffes suchen, aufspüren und Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen. Änderungen kann hier nur das Umweltministerium anstoßen!

H360D: Kann das Kind im Mutterleib schädigen. H360F: Kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigen. H360f: Kann vermutlich die Fruchtbarkeit beeinträchtigen. * Verbot in Spielzeug und Babyartikeln (für DnOP, DiNP und DiDP: die in den Mund genommen werden können)
Einstufungen der bekanntesten Phthalate [9]
Quellen:
[1] https://www.lanuv.nrw.de/umwelt/umweltmedizin/umwelt-und-epidemiologie/bestimmung-von-schadstoffen-und-schadstoffmetaboliten
[2] https://www.tagesschau.de/wissen/gesundheit/umweltbundesamt-urin-100.html
[3] https://www.zeit.de/news/2022-12/01/studie-schadstoffbelastung-durch-weichmacher-gesunken
[4] https://www.lanuv.nrw.de/fileadmin/lanuv/gesundheit/pdf/2024/2024-01_Nachuntersuchung_DnHexP.pdf
[5] https://www.rtl.de/videos/auf-der-spur-eines-verbotenen-weichmachers-65c31d45866096297807fd6a.html
[6] https://www.umweltbundesamt.de/themen/fund-eines-weichmachers-in-urinproben-fragen
[7] https://www.umweltbundesamt.de/themen/deutsche-umweltstudie-zur-gesundheit-von
[8] https://rp-online.de/nrw/landespolitik/weichmacher-wird-thema-im-nrw-landtag_aid-106540649
[9] https://www.dguv.de/medien/ipa/publikationen/ipa-journale/ipa-journale2015/documents/ipa_journal_1503_phthalate.pdf

 

 

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2 Antworten

  1. nicht nur die Frage “ woher kommt es“ ist zu stellen! es muß vielmehr die Frage gestellt werden “ wurde es früher verwendet? wie wurde es entsorgt? und wie könnte es-nach erfolgter Entsorgung( man denke dabei auch an die Müllentsorgung in der ehemaligen DDR) wieder in den Kreislauf kommen? hier gibt es noch massenhaft Probleme, gerade im Osten der Republik. Beispiele der “ Silbersee“ der ehemaligen ORWO und da gibt es noch viele Giftlager!

    1. Ja und wir können nur in Zukunft etwas ändern bzw. verbessern.
      Zum Thema Entsorgung und Recycling verschiedener Kunststoffe: Das ist nochmal komplexer, da unterschiedliche Kunststoffe unterschiedliche Eigenschaften haben. Dazu haben wir uns dezidiert via Entsorgungshinweise.de Gedanken gemacht, inkl. konrkete Forderung, die unter 3.5. in der „Empfehlungen für die Revision der Verpackungsrichtlinie 1994/62/EG“ zu finden ist.

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